Die Kombination der Wörter „ernsthaft“ und „Spiel“ erscheint unmöglich. Aber das täuscht. In den letzten Jahren haben die Serious Games unter Beweis gestellt, dass es möglich ist mit Spielen zu lernen. Diese Lehrmethode ist unter der Bezeichnung Game-based Learning bekannt geworden, ein Trend, der sich schnell in Grundschulen, renommierten Universitäten und Großunternehmen ausbreitet. In diesem Post erklären wir Ihnen alles, was Sie über Serious Games und das Lernen mit Videospielen wissen sollten: deren wichtigste Merkmale und Vorteile, die wir Ihnen mit einigen herausragenden Beispielen veranschaulichen werden.
Was ist ein Serious Game?
Diese „ernsthaften Spiele“ dienen NICHT primär und ausschließlich der Unterhaltung, sondern dem Lernen und der Anwendung des Gelernten. Sie werden zunehmend in der Bildungsbranche, im Gesundheitswesen, der Luftfahrt, Wissenschaft und in Verteidigungsministerien eingesetzt. Damit werden unterschiedliche Ziele verfolgt. Beispielsweise werden Feuerwehren auf Rettungseinsätze vorbereitet, Verkaufsteams werden geschult und es werden Mathematik oder Sprachen unterrichtet.
Erstes Beispiel: Dragon Box Elements
Eins der einfachsten (und effektivsten) Spiele für den Schulunterricht ist Dragon Box Elements. Dabei müssen die Spieler eine Armee aufbauen, den bösen Drachen Osgard besiegen und Euklids Insel retten. Die Zielgruppe sind Kinder ab neun Jahren, die sich die Grundlagen der Euklidischen Geometrie aneignen müssen, um sich den Herausforderungen des Spiels stellen zu können. Dragon Box ist ein gutes Beispiel für ein Serious Game: die Schüler lernen Mathematik, während sie ihren Spaß mit dem Videospiel haben.
Was ist Game-based Learning?
Die Methode, die Videospiele zu Lernzwecken verwendet, wird als Game-based Learning bezeichnet. Dabei werden die Unterrichtsinhalte sowie die Fertigkeiten, die gelehrt werden sollen, nicht im Klassenzimmer oder mit einem Buch vermittelt, sondern mithilfe von Videospielen. Die Vertreter dieser neuartigen Methode gehen davon aus, dass Videospiele gleichzeitig unterhaltsam und effizient sind, die Schulungskosten senken, die Lernenden motivieren und eine praktische Anwendung ermöglichen. Das Flaggschiff-Produkt des Game-based Learnings ist das Serious Game.
Zweites Beispiel: Pulse!!
Diese innovative Lernmethode wurde mit Begeisterung in das Gesundheitswesen eingeführt. Claudia Johnston, Expertin im Bereich Krankenpflege, entwickelte Pulse!!, das die Notfallaufnahme in einem Krankenhaus simuliert, auf der Grundlage von Ego-Shooter-Computerspielen (wie zum Beispiel: Quake oder Duke). Mit diesem Videospiel können die zukünftigen Krankenpfleger*innen die gelernte Theorie praktisch umsetzen und Erfahrungen in „realen“ Situationen sammeln. Die Spieler müssen die Erkrankungen der einzelnen Patienten erkennen, den schwersten Erkrankungen Priorität einräumen und je nachdem die geeigneten Maßnahmen ergreifen.
Die fünf Bestandteile eines Serious Game
Es ist nicht einfach, ein ernsthaftes Spiel zu entwickeln, denn man braucht viel Zeit, Geld und Talent. Obwohl es zahlreiche Formate und Zielsetzungen gibt, umfassen die meisten Game-based-Learning-Systeme fünf Bestandteile:
1 – Eine Geschichte. Auch wenn dies nicht unbedingt nötig ist, haben die meisten Videospiele eine Geschichte bzw. einen Erzählfaden. Das kann ein Prinz sein, der eine Prinzessin rettet, oder ein mutiger Soldat, der versucht, seinen Feind zu besiegen. Es kann auch, wie wir oben gesehen haben, eine Krankenschwester sein, die ihren Patienten hilft. Je stärker das Argument und die Charaktere ausgearbeitet sind, desto stärker lassen die Anwender sich auf das Spiel ein und deren Motivation steigt.
Drittes Beispiel: Pacific
Das Videospiel Pacific beginnt mit einer Geschichte: Ein Team von Entwicklungshelfern erleidet auf seinem Weg zu einem humanitären Einsatz ein Flugzeugunglück und strandet auf einer einsamen Insel mitten im Pazifischen Ozean. Der Spieler muss einen Heißluftballon bauen, um von der Insel zu entkommen und gesund nach Hause zurückzukehren. Dazu muss er Fertigkeiten erlernen, die ihn zu einem guten Leader machen. Zum Beispiel soll er lernen, wie er seine Teammitglieder motiviert und belohnt, Konflikte löst, Aufgaben delegiert und die anderen trainiert. (All dies sind von Firmen geforderte Kompetenzen) Nur so kann das Team von der Insel entkommen.
2 -Gamifikation. Der zweite grundlegende Baustein eines Serious Game sind die Spieldynamiken: Rankings, Bonusse, Badges und Punktesysteme. Diese Gamifikation bzw. Spielifikation spornt die Spieler an und motiviert sie, denn wir alle freuen uns, wenn wir mehr Münzen oder Leben gewinnen oder zur nächsten Spielrunde aufsteigen (denken Sie an Mario Bros). Auch die Klassifizierungen bzw. das Ranking sind wichtige Bestandteile der Serious Games: Ein gesunder Wettbewerb mit unseren Mitschülern oder -arbeitern motiviert uns, uns anzustrengen und alles zu geben, um unsere Mitspieler zu übertrumpfen.
Viertes Beispiel: Duolingo
In der berühmten Sprachlern-App Duolingo finden Sie viele dieser Elemente. Während die Anwender Englisch, Spanisch, Französisch oder Deutsch lernen, erhalten sie Punkte, steigen zur nächsten Spielrunde auf, verlieren Leben oder setzen sich gegen Familienangehörige oder Freunde durch. Für jede gelernte Lektion gibt es eine Belohnung. Obwohl Duolingo im strengen Sinne kein Serious Game ist, ist es eine der Apps, die Gamifikationselemente erfolgreich zu Lernzwecken einsetzt.
3 – Sofortiges und individuell zugeschnittenes Feedback. Im Unterschied zu Präsenzschulungen, an denen normalerweise dutzende von Schülern und ein Lehrer teilnehmen, bieten Serious Games ein sofortiges, individualisiertes Feedback. Der Spieler interagiert direkt mit dem Spiel und erhält umgehend positive Rückmeldung oder Verbesserungsvorschläge. Bei modernen Videospielen kann dieses Feedback detailliert sein und Begründungen enthalten. Die Spieler erfahren, warum sie einen Fehler begangen haben und sie erhalten die Chance es ein weiteres Mal zu versuchen. Wenn dieses Feedback gut ausgearbeitet ist, ist es ein wirksames Lehrmittel.
4 – Simulation. In den meisten Fällen ahmen die Serious Games Situationen aus dem echten Leben nach. Der Spieler, der in einer nachgestellten Umwelt mit fiktiven Charakteren interagiert, taucht in eine Welt ein, die der jenseits von Computern und Smartphones ähnelt. Dank dieser Art von Simulatoren interagieren die Anwender mit dieser neuen Realität und wenden die während des Spiels erworbenen Fertigkeiten und Konzepte an.
Fünftes Beispiel: The Virtual Interactive Combat Environment (VICE)
Simulatoren wurden erfolgreich in der Ausbildung von Chirurgen, Flugzeugpiloten und Soldaten verwendet. Im letzten Bereich muss das US-Verteidigungsministerium hervorgehoben werden, das vermutlich die öffentliche Behörde ist, die in den letzten Jahrzehnten am meisten Geld und Mittel in das Game-based Learning investiert hat. Eines der bekanntesten Videospiele ist Virtual Interactive Combat Environment (VICE). Armeeangehörige können mit diesem modernen, dreidimensionalen Simulator lernen, wie man Konflikte löst, Ausrüstungen vorschriftsmäßig verwendet, mit dem Rest der Kompanie / des Trupps kommuniziert und in Gefechtssituationen handelt.
5 – Das Ziel: Lernen: Wir sagen es immer wieder: Mit den Serious Games soll gelernt werden. Alle der oben aufgeführten Elemente sind Bestandteile zahlreicher kommerzieller Videospiele, aber das macht diese noch lange nicht zu Serious Games. Ernsthafte Spiele verwenden nicht nur diese Elemente, sie verfolgen darüber hinaus Ziele, die über das reine Spielen hinausgehen und der Bildung dienen.
Welche Vorteile haben Game-based Learning und Serious Games?
Aus der erfolgreichen Mischung der oben genannten Bestandteile werden effiziente Lehrmittel geboren. Die Verwendung von Geschichten, Gamifikationstechniken, Simulatoren und Feedback beim Lernen haben zahlreiche Vorteile gegenüber Präsenzschulungen und E-Learning. Dies sind die fünf Wichtigsten:
1 – Engagement und Motivation
Wir alle haben die negativen Aspekte der traditionellen Bildung erlebt: stundenlanges Zuhören, Theorie aus Büchern und keine praktische Interaktion zu den vermittelten Inhalten. Egal ob unter den Jugendlichen einer Sekundarschule oder den Mitarbeitern eines Betriebs, die mangelnde Motivation und das fehlende Engagement der Lernenden ist eines der Hauptprobleme, vor dem Lehrer und Personalmanager stehen.
Game-based Learning und Serious Games bieten eine der besten Lösungen für dieses Problem. Videospiele sind per se interaktiv und die Anwender müssen von Anfang an Entscheidungen treffen. Die Spieldynamik belohnt die Anstrengungen des Lernenden und die Erzählung, an der dieser teilnimmt, motiviert ihn. Mit den ausgefeiltesten Videospielen kann Lernen gar zur Sucht werden. Wie in dem Buch The Gamification of Learning and Instruction Fieldbook erklärt wird: „Je mehr der Schüler mit anderen Lernenden, dem Inhalt und dem Ausbilder interagiert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser auch tatsächlich etwas erlernt.“
Sechstes Beispiel: Our City
Die Generation Y ist sowohl in der Schule als auch in den Betrieben am schwersten zu motivieren. Um dieses Problem anzupacken, wurde in Jordanien das Facebook-Videospiel „Our City“ entwickelt, das das Engagement von Menschen zwischen 15 und 24 Jahren für ihre Gemeinden und die sozialen Verhaltensmuster der Jugendlichen stärken, sowie deren aktive Teilnahme am städtischen Leben fördern soll. In dem Spiel, das dem beliebten Computerspiel „Die Sims“ ähnelt, werden die Jugendlichen zu Bürgermeistern. Sie errichten eine Stadt von Grund auf, während sie dafür sorgen, dass deren Einwohner zufrieden sind. Sie stehen vor Herausforderungen wie dem Aufbau der öffentlichen Infrastruktur wie Gesundheits- und Bildungswesen und der Verbesserung des städtischen Transports.
2 – Tiefgehende Reflektion
Häufig, insbesondere im Arbeitsleben, arbeiten wir in einer routinierten und immer wiederkehrenden Arbeitsumgebung, in der wir die dringendsten, alltäglichen Aufgaben voranstellen. Das erschwert uns ein langfristiges, strategisches Planen und erschwert ein gründliches Nachdenken über die Herausforderungen und Chancen, denen wir gegenüberstehen. Die Serious Games können uns die nötige Distanz verschaffen, die wir zum Nachdenken brauchen, denn wir tauchen in eine andere Welt ein, die uns von der Realität ablenkt.
3 – Tatsächliche, sichere Anwendung
Im Unterschied zu Präsenzschulungen zeichnet das Game-based Learning sich durch praktisches Lernen aus. Dank der Simulatoren können die Spieler mit anderen Anwendern interagieren und ihre erworbenen Kenntnisse von Anfang an anwenden. Außerdem bieten die Serious Games das Beste beider Welten: Einerseits ahmen die Simulatoren die Realität so wirklichkeitsgetreu wie möglich nach; andererseits ermöglicht das Videospiel eine sichere Anwendung, bei der weder Sach- noch Personenschäden entstehen können. Besonders wichtig ist dies, wenn wir an chirurgische Eingriffe oder das Führen eines Flugzeugs denken.
Siebtes Beispiel: Merchants
Die direkte Anwendbarkeit ist auch für Firmen sehr interessant. Das trifft zum Beispiel auf das Videospiel Merchants zu (Bestandteil der Plattform von Gamelearn), bei dem die Verhandlungs- und Konfliktlösungskompetenzen der Mitarbeiter eines jeden Betriebs geschult werden. In Merchants reisen die Spieler in das Venedig des 15. Jahrhunderts, wo sie ihr Handelsimperium aufbauen und sich harten Verhandlungskünstlern wie Machiavelli stellen. Dieses Videospiel ermöglicht es den Mitarbeitern eines multinationalen Unternehmens, schwierige Verhandlungstechniken zu erlernen, die sie später im echten Leben anwenden können, jedoch ohne dass ihr Unternehmen für die typischen Lernfehler aufkommen muss.
4 – Verbesserung des Erinnerungsvermögens
Einer der Vorteile der Serious Games ist, dass mit dem wachsenden Engagement und der zunehmenden Motivation der Lernenden sich auch deren Fähigkeit, sich an den Lernstoff zu erinnern verbessert. Wenn eine tatsächliche, direkte Anwendung hinzukommt, lernen die Schüler besser und tiefgehender. Diverse Studien weisen nach, dass Lernen mit Spiel und Praxis (learning by doing) sich effektiver und nachhaltiger auf das Denkvermögen der Lernenden auswirkt.
5 – Beitrag zu einer besseren Welt
Es mag ein bisschen hochtrabend klingen, aber es ist wahr, dass mit einigen Serious Games die Welt verändert werden soll. Die Attraktivität der Gamifikation und der Simulatoren kann dazu dienen, das Einfühlungsvermögen zu stärken, den Frieden zu fördern, die Menschenrechte zu schützen und gesellschaftliche Werte zu verbreiten. Im Gegensatz zu dem Stereotyp, dass Videospiele asoziale Verhaltensweisen und Gewalt fördern, können mit Game-based Learning tatsächlich soziale Verhaltensweisen, die für die gesamte Gesellschaft positiv sind, gefördert werden.
Achtes Beispiel: Food Force
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen entwickelte 2005 ein Videospiel zur sozialen Bewusstseinsbildung und zum Kampf gegen den Hunger. In diesem Videospiel (Food Force) schlüpfen die Spieler in die Rolle eines neuen Mitarbeiters der UNO im Kampf gegen eine Hungerskrise und den Ausbruch eines Bürgerkrieges auf einer pazifischen Insel. Der Spieler muss Nahrungsmittel unter der Bevölkerung verteilen und mittel- bis langfristig erreichen, dass das Land auf eigenen Beinen stehen kann. Ein fantastisches Beispiel dafür, wie Serious Games die Welt verbessern können.
Der Erfolg der Serious Games und des Game-based Learning
All diese Vorteile machen das Game-based Learning zur Vorhut einer Bildungsrevolution in Schulen und Betrieben auf der ganzen Welt. Viele dieser mehr oder weniger modernen Videospiele werden täglich von Millionen von Menschen verwendet (in vielen Fällen unwissentlich). In Großbritannien beispielsweise bevorzugen die meisten Spieler (33 %) Videospiele vom Typ Puzzle, Wortspiele oder Trivial. Auch wenn nicht alle als ernsthafte Spiele angesehen werden können, sind es gute Beispiele für die weltweit wachsende Akzeptanz des Game-based Learnings.
Serious Games sind auch ein interessantes Geschäftsfeld. Laut Schätzungen des Consulting-Unternehmens Marketandmarkets wird dieser Sektor von 2015 bis 2020 im Durchschnitt pro Jahr um 16,38 % wachsen, was 2020 einem Jahresumsatz von 5,449 Milliarden US-Dollar gleichkommt. Die Nachfrage nach Video-Lernspielen wächst und der Markt beginnt allmählich, diese Nachfrage sicher zu stellen.
Wir wissen, warum das Game-based Learning sich immer größerer Beliebtheit erfreut: Wie wir gesehen haben, werden Engagement und Motivation der Lernenden gestärkt, die Inhalte können direkt und ohne Risiko angewendet werden und das Erinnerungsvermögen verbessert sich. Obwohl die Serious Games schon seit Jahrzehnten existieren (erinnern Sie sich daran, wie Sie schon als Kind mit Spielen gelernt haben), tragen der technologische und soziale Wandel der letzten Jahre zur Ausbreitung des Game-based Learnings auf der ganzen Welt bei. Sei es zur Verbesserung der Aus- und Weiterbildung von Krankenpflegern, zum Lernen von Geometrie an Grundschulen oder zur Stärkung der Führungskompetenzen in Betrieben – Serious Games sind bereits heute eine praktische und effektive Lernmethode.